Begrenzung der Erderwärmung kann doppelt so viel Gletschereis erhalten
Eine neue Studie mit Beteiligung der ETH Zürich zeigt: ?berschreitet die Erderw?rmung die Pariser Klimaziele, schrumpfen die nicht-polaren Gletscher massiv. Wird sie jedoch auf 1,5?°C begrenzt, k?nnten rund 54?Prozent der Gletscher erhalten bleiben – mehr als doppelt so viel wie bei 2,7?°C.
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In Kürze
- Auch wenn sich der weltweite Temperaturanstieg auf heutigem Niveau einpendelte, würde die Welt rund 40 Prozent ihrer Gletscher verlieren.
- Wenn es gelingt, die Erderw?rmung auf +1,5 °C zu begrenzen, k?nnte immerhin doppelt so viel Gletschereis erhalten bleiben (54 Prozent) wie im Szenario mit +2,7 °C (nur 24 Prozent).
- Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam mit ETH-Beteiligung in einer neuen Studie, die die globale Gletscherentwicklung über mehrere Jahrhunderte betrachtete.
Die heute im renommierten Fachjournal Science ver?ffentlichten Ergebnisse lassen aufhorchen: Selbst, wenn sich der globale Temperaturanstieg auf dem aktuellen Niveau von 1,2 °C einpendelt, droht dennoch – im Vergleich zu 2020 – ein Rückgang der weltweiten Gletschermasse um 39 Prozent. Die Folge w?re ein Anstieg des Meeresspiegels um mehr als 10 Zentimeter.
Für die aktuelle Studie berechnete ein internationales Team aus 21 Forschenden aus zehn L?ndern anhand von acht Modellen den potenziellen Eisschwund von mehr als 200’000 Gletschern ausserhalb Gr?nlands und der Antarktis. Das internationale Forschungsteam analysierte mehrere globale Szenarien unter der Annahme, dass die Temperaturen über mehrere Jahrtausende hinweg konstant bleiben.

?Die Entscheidungen, die wir heute treffen, werden noch Hunderte Jahre nachwirken und bestimmen, wie viele unserer Gletscher bewahrt bleiben?, erkl?rt Harry Zekollari, Mitautor der Studie von der Freien Universit?t Brüssel, der dieses Forschungsprojekt aufgleiste, als er Postdoktorand an der ETH-Professur für Glaziologie des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) war.
Neue Erkenntnisse beim Blick über 2100 hinaus
In allen Szenarien verlieren die Gletscher über Jahrzehnte hinweg rasch an Masse und schmelzen anschliessend über Jahrhunderte langsamer weiter – auch ohne zus?tzliche Erw?rmung. Dieser langfristige Effekt bedeutet, dass die Gletscher noch weit in die Zukunft hinein unter den Auswirkungen der heutigen Hitze leiden und sich allm?hlich in h?here Lagen zurückziehen werden, bevor ein neues Gleichgewicht erreicht ist.
?Das Besondere unserer Studie ist, dass wir die globale Gletscherentwicklung erstmals über mehrere hundert Jahre hinweg und mithilfe von acht Modellen berechneten anstatt nur mit einem oder zwei?, sagt Zekollari. ?Die meisten Untersuchungen zu Gletschern enden im Jahr 2100. Das ist problematisch, wenn es darum geht, die langfristigen Auswirkungen heutiger Klimapolitik auf die Gletscher zu simulieren – schliesslich reagieren die Gletscher über sehr lange Zeitr?ume und nur zeitlich verz?gert auf den Klimawandel.?
Zum Beispiel sch?tzen andere Studien, deren Zeithorizont nur bis zum Jahr 2100 reicht, dass etwa 20 Prozent der heutigen Gletschermasse verloren gehen – und zwar unabh?ngig davon, wie genau die Temperatur in Zukunft ansteigt. Im Unterschied dazu zeigt die neue Studie, die einen viel l?ngeren Zeitraum über mehrere Jahrhunderte betrachtet, dass unter den heutigen Bedingungen fast doppelt so viel Gletschereis verschwinden würde. ?Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass effektiv etwa 40 Prozent der Gletschermasse schmelzen werden?, erkl?rt Zekollari.
Gletscherschmelze macht Erderw?rmung sichtbar
?Wir k?nnen den Rückgang der Gletscher mit eigenen Augen sehen. Darum sind Gletscher sehr gute Indikatoren für den Klimawandel. Da sie sich jedoch nur langsam und über sehr lange Zeitr?ume an Klimaver?nderungen anpassen, zeigt ihre heutige Gr?sse bei weitem nicht das tats?chliche Ausmass des bereits erfolgten Klimawandels an. Der Zustand der Gletscher ist heute schlechter als es in den Bergen aussieht?, mahnt Lilian Schuster von der Universit?t Innsbruck und Co-Autorin der Studie.
Der Gletscherschwund hat auch über den Meeresspiegelanstieg hinaus weitreichende Folgen. Er gef?hrdet die Trinkwasserversorgung, erh?ht das Risiko von Naturkatastrophen wie ?berschwemmungen und Erdrutschen und bedroht den Tourismus in betroffenen Gebieten. Diese Dominoeffekte werden für Regionen und Generationen spürbar sein.
?An diesen Auswirkungen wird deutlich, wie wichtig die heutige Klimapolitik ist?, betont Zekollari. ?Unsere Studie zeigt deutlich, dass jedes Zehntelgrad z?hlt. Gelingt es, die Erderw?rmung auf +1,5 °C einzuschr?nken statt auf +2,7 °C, k?nnten wir noch doppelt so viel Gletschereis retten.?
Die aktuelle Klimapolitik steuert auf eine durchschnittliche Erderw?rmung von etwa 2,7?°C zu. Wie stark die Gletscher im Endeffekt tats?chlich schmelzen, h?ngt laut Zekollari entscheidend davon ab, ob sich die Erw?rmung eher bei 1,5?°C einpendelt oder n?her bei 3,0?°C liegen wird. In ihrer Studie zeigen die Forschenden auf, dass wenn die globale Erw?rmung 2,7 °C betr?gt, dass die Gletscher dann auf 24 Prozent ihrer heutigen Gr?sse schrumpfen würden. Gelingt es hingegen, den Temperaturanstieg laut Pariser Abkommen auf 1,5 °C zu begrenzen, liessen sich 54 Prozent erhalten – mehr als doppelt so viel. Anders gesagt: Mit jedem weiteren Zehntelgrad werden etwa zwei Prozent mehr Gletschereis verloren gehen.
Zum UNO-Jahr des Gletscherschutzes beitragen
?Diese Studie steht ganz im Zeichen des Internationalen Jahres der Erhaltung der Gletscher der Vereinten Nationen (UNO). Sie verdeutlicht einmal mehr, wie dringend weltweite Klimaschutzmassnahmen zugunsten der Gletscher erforderlich sind?, erkl?rt Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich und der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Seine Forschungsgruppe an der ETH-Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) wirkte massgeblich an der Erarbeitung der neuen Erkenntnisse mit. Die von Zekollari und Schuster geleitete Studie entstand im Rahmen des Glacier Model Intercomparison Project (GlacierMIP) und wurde koordiniert vom Climate and Cryosphere (CliC) Project des World Climate Research Programme (WCRP).
Wie Farinotti anmerkt, f?llt die Ver?ffentlichung der Studie in Science zeitlich zusammen mit der Er?ffnung der externe Seite Internationalen Konferenz zur Erhaltung der Gletscher, die der Pr?sident Tadschikistans im Rahmen einer UNO-Resolution initiierte. Darin wurde das Internationale Jahr der Erhaltung der Gletscher ausgerufen, was sp?ter zur Ausrufung des UNO-Jahrzehnts für Kryosph?renwissenschaften 2025–2034 führte.
Auf Schweizer Seite wurde das Eidgen?ssische Departement für ausw?rtige Angelegenheiten (EDA) gebeten, bei der Organisation der Veranstaltung mitzuwirken, besonders an der Ausarbeitung der geplanten Gletscherschutzerkl?rung von Dushanbe. Daniel Farinotti seinerseits wirkt als Berater des EDA bei der Ausarbeitung der Erkl?rung mit.

Literaturhinweis
Zekollari, H., Schuster, L., et al.: Glacier preservation doubled by limiting warming to 1.5°C versus 2.7°C. In: Science, 29. Mai 2025. DOI: externe Seite 10.1126/science.adu4675