Macht KI künftig Wetter- und Klimaprognosen?

Künstliche Intelligenz kann das Wetter rasch und zuverl?ssig vorhersagen und birgt auch für Klimaprojektionen erhebliches Potenzial. Nicolas Gruber und Andreas Prein erkl?ren, warum traditionelle Simulationen mit numerischen Modellen dennoch unverzichtbar bleiben.?
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Künstliche Intelligenz (KI) sorgt unter Meteorolog:innen und Klimaforschenden gerade für einigen Wirbel. Traditionelle Wetter- und Klimamodelle l?sen mathematische Gleichungen n?herungsweise (numerisch), um die physikalischen Prozesse in Ozean und Atmosph?re zu beschreiben. Diese numerischen Modelle ben?tigen Supercomputer und sind enorm energie- und zeitaufw?ndig.
Die neuen KI-Modelle hingegen kennen keine physikalischen Gesetze. Sie basieren auf Daten und machen Vorhersagen anhand erlernter Muster, sind viel schneller und jüngst mitunter erstaunlich genau.
In den letzten zwei Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass KI-generierte Wettervorhersagen bereits besser ausfallen als klassische, numerische Wetterprognosen.1 Das wirft Fragen auf über die zukünftige Rolle der KI bei der Wetter- und Klimamodellierung. Am kommenden EXCLAIM-Symposium werden Forschende, Entscheidungstr?gerinnen und KI-Experten genau darüber diskutieren. Eine der dr?ngendsten Fragen lautet: Wird KI die teuren und aufw?ndigen numerischen Modelle nun vollst?ndig ersetzen?
Zu den Autoren
Die kurze Antwort: Wir wissen es nicht. KI entwickelt sich rasend schnell – doch selbst Fachleute k?nnen kaum sagen, wohin. Die differenziertere Antwort lautet: wahrscheinlich nicht. Es gibt zwar gute Gründe anzunehmen, dass KI-Modelle eine rasch wachsende Rolle spielen werden. Wir argumentieren hier aber, dass einige Aspekte der Klima- und Wettermodellierung wohl niemals vollst?ndig von KI übernommen werden.
Wettervorhersage – eine KI-Erfolgsgeschichte
KI-Modelle übertreffen herk?mmliche Wettervorhersagen mit Vorlaufzeiten von Stunden bis Saisons. Warum? Weil wir beim Wetter genau das bieten, wovon die KI lebt: Daten. Und zwar jede Menge davon.
Dank mehr als 80 Jahren globaler Wetterbeobachtungen, die in erster Linie von der ?ffentlichkeit beschafft, bezahlt und verfügbar gemacht werden, k?nnen Wissenschaftler:innen KI-Systeme mit Millionen von Beispielen für das Verhalten der Atmosph?re füttern. Die Modelle lernen aus dieser riesigen Datenmenge Muster und Zusammenh?nge, die für den Menschen unvorstellbar sind.
In nur wenigen Jahren hat sich die KI von einer experimentellen Kuriosit?t zu einer echten Konkurrenz für herk?mmliche Wettermodelle entwickelt. KI-Vorhersagemodelle bieten genauere, schnellere und kostengünstigere Prognosen, was insbesondere für Regionen mit begrenztem Zugang zu Rechenleistung von Supercomputern vorteilhaft ist und die Demokratisierung der Wettervorhersage f?rdern kann.
Wir gehen daher davon aus, dass der Einsatz von KI-basierten Methoden bei der Wettervorhersage weiter zunehmen wird.

Aber nicht so beim Klima. Hier stellt sich eine v?llig andere Herausforderung: Im Gegensatz zum Wetter gibt es beim Klima nur einen einzigen beobachteten Klimadatensatz. Das macht es sehr schwierig, KI auf m?glichst verschiedenen Datens?tzen zu trainieren, damit sie optimal lernt. Weiter entmutigend ist der Umstand, dass zukünftige Klimabedingungen oft ausserhalb der bisherigen Beobachtungen liegen werden und somit nicht in den Trainingsdaten enthalten sind.
Klimamodellierung: die h?rtere Nuss
Systeme, die sich nur langsam ver?ndern, wie Tiefseestr?mungen, ?kosystemverschiebungen und schmelzende Eisschilde, sind bekanntermassen schwer zu modellieren – selbst mit ausgefeilten physikalischen Werkzeugen. Auch Rückkopplungen wie das Abschmelzen von Schelfeis oder Verschiebungen in der Ozeanzirkulation sind für KI extrem schwer zu antizipieren. Solche Kippelemente k?nnen nach Jahrzehnten scheinbarer Stabilit?t massive, schnelle Ver?nderungen ausl?sen.
KI-Modelle, die h?ufig darauf trainiert sind, unter ?normalen? Bedingungen Fehler zu minimieren, haben nachweislich Probleme, wenn seltene, extreme oder nicht vorhersehbare Situationen auftreten – also genau dann, wenn zuverl?ssige Informationen am dringendsten ben?tigt werden.
Kooperation statt Konkurrenz
Ein realistisches Szenario, das wir sehen, ist keines, in dem KI die traditionellen numerischen Modelle ersetzt, sondern vielmehr eines, in dem sie diese erg?nzt und verbessert. KI hat viel mehr Anwendungsm?glichkeiten als nur die Emulation eines numerischen Modells: Sie kann helfen, numerische Simulationen zu beschleunigen, riesige Datens?tze zu analysieren und Informationen zu extrahieren, und sie kann dazu beitragen, spezifische Modellkomponenten wie beispielsweise die Wolkenbildung oder turbulente Systeme wie Gewittertürme gezielt zu verbessern.
?Obwohl es Fortschritte bei der erkl?rbaren KI gibt, bleibt der Goldstandard für wissenschaftliches Verst?ndnis in der Physik, der Theorie und der Beobachtung verankert.?Nicolas Gruber und Andreas Prein
Spannend ist die Entwicklung digitaler Zwillinge der Erde – hochaufl?sende virtuelle Nachbildungen, die physikalische Modelle mit KI kombinieren, um das Erdsystem zu simulieren und vorherzusagen, wie es sich verh?lt. Initiativen wie NVIDIAs Earth-2 und Destination Earth der EU sollen Echtzeit-Einblicke in Extremwetter, Klimarisiken und Anpassungsoptionen liefern. Sie stehen exemplarisch dafür, wie KI und traditionelle Modellierung zusammen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen k?nnen.
Bei der erkl?rbaren KI (XAI) gibt es zwar Fortschritte – doch der Goldstandard für wissenschaftliches Verst?ndnis liegt in der Physik, der Theorie und der Beobachtung begründet. Im Gegensatz zu KI-Modellen sind physikbasierte Ans?tze interpretierbar, nachvollziehbar und ihr Verhalten kausal erkl?rbar. Wenn KI-Technologien dem Gemeinwohl dienen sollen, braucht es eine solide Ausbildung, ?ffentliches Engagement und einen starken ethischen Rahmen.
Ein gesellschaftlicher Blick auf KI

Das EXCLAIM-Symposium über KI in der Wetter- und Klimamodellierung befasst sich auch mit der menschlichen Perspektive: Martin Vetterli, Informatik-Professor und ehemaliger Pr?sident der EPFL, h?lt am 4. Juni 2025 von 16 bis 17 Uhr eine ?ffentliche Keynote über die Rolle der KI für die Gesellschaft.
Weitere Informationen und Anmeldung (auf Englisch)
Wird künstliche Intelligenz also die Zukunft der Klima- und Wettermodellierung bestimmen? KI ist ein aussergew?hnliches Werkzeug, aber keine Wunderwaffe. Wir denken daher, dass KI die Zukunft mitgestalten, aber nicht allein bestimmen wird. Um derart komplexe Systeme wie Wetter und Klima zu verstehen und vorherzusagen, braucht es weiterhin sowohl die physikalischen Grundlagen als auch die Kreativit?t und Zusammenarbeit von uns Menschen.
1 Das jüngste Beispiel ist erst kürzlich erschienen: externe Seite A foundation model for the Earth system (Nature, 2025).