Fibrose sichtbar machen – bevor es zu spät ist
Giuseppe Antoniazzi entwickelt ein Diagnostik-Toolkit, das frühe Hinweise auf fibrotische Erkrankungen gibt. Damit will der Pioneer Fellow einen Beitrag leisten, um die meist zu sp?t bemerkten bisher kaum aufzuhaltenden Gewebevernarbungen rechtzeitig zu erkennen und Gegenmassnahmen zu erm?glichen.
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In Kürze
- Unter Fibrose versteht man die fortschreitende Vernarbung und Verh?rtung von Gewebe und Organen.
- Giuseppe Antoniazzi entwickelt im Rahmen eines Pioneer Fellowships ein Toolkit zur Frühdiagnose solcher fibrotischer Prozesse.
- Das Diagnosemittel fluoresziert bei Anwesenheit eines aktiven Enzyms, das für Fibrose typisch ist – und macht so frühe Diagnose und einen rechtzeitigen Behandlungsbeginn m?glich.
Fibrose ist eine tückische Erkrankung. Narbengewebe verdr?ngt zunehmend und irreversibel gesundes Gewebe. Die Folge: Organe wie Lunge, Leber oder Niere verlieren ihre Funktion. Im Fall der Lungen werden mehr als 80 Prozent der Fibrosen erst in einem sp?ten Stadium erkannt – wenn das Gewebe bereits grossfl?chig vernarbt und nicht mehr zu retten ist. Die Lebenserwartung von Patient:innen mit Lungenfibrose betr?gt dann oft nur noch drei bis fünf Jahre.
Hier setzt Giuseppe Antoniazzi an. Er hat bei Helma Wennemers, ETH-Professorin für Organische Chemie, doktoriert und entwickelt im Rahmen eines Pioneer Fellowships ein diagnostisches Werkzeug, das es erm?glichen soll, fibrotische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Seine Arbeit baut dabei auf einer Erfindung aus dem Wennemers-Labor auf, die 2020 mit dem Spark Award ausgezeichnet wurde. ?Wir haben eine chemische Sonde entwickelt, die auf die Aktivit?t eines Enzyms reagiert, das als einer Haupttreiber der Fibrose gilt?, erkl?rt Antoniazzi. Gemeint ist Lysyl-Oxidase, kurz LOX – ein Enzym, das massgeblich an der Umwandlung von gesundem Gewebe in Narbengewebe beteiligt ist.
Ein fluoreszierendes Frühwarnsystem
Die Sonde ist ebenso unscheinbar wie wirkungsvoll: Von blossem Auge erscheint sie als weisses Pulver, das sich in Wasser l?sen l?sst. Trifft sie auf Gewebe – etwa in Form einer Biopsie – oder auf K?rperflüssigkeiten, in denen LOX aktiv ist, beginnt sie blau zu fluoreszieren. ?Entscheidend ist, dass wir nicht nur die Anwesenheit des Enzyms nachweisen, sondern dessen tats?chliche Aktivit?t?, betont Antoniazzi.
Sein Ziel ist es, mit dieser Sonde eine Art Frühwarnsystem zu schaffen. Denn LOX ist zwar auch in gesundem Gewebe aktiv, jedoch nur in sehr geringen Mengen. Bei einer beginnenden Fibrose steigt die Aktivit?t stark an. ?Wenn wir diesen Anstieg rechtzeitig erkennen, k?nnen ?rztinnen und ?rzte früh eingreifen – bevor das Gewebe irreversibel gesch?digt ist?, sagt Antoniazzi.

Die Sonde, mit der eine frühzeitige Diagnose von fibrotischen Erkrankungen m?glich wird, ist ein Novum. Bisher wird Lungenfibrose meist durch ein Ausschlussverfahren diagnostiziert. Eine Patientin mit l?nger anhaltendem Husten wird zun?chst auf verschiedene Erkrankungen untersucht. Wenn sich keine andere Erkl?rung findet, bleibt als Diagnose oft nur Fibrose. ?Dabei k?nnen schnell zwei Jahre vergehen – eine Zeit, in der die Krankheit bereits h?tte behandelt werden k?nnen?, sagt Antoniazzi. Auch die heute als Goldstandard geltende hochaufl?sende Computertomographie erkennt Fibrose erst, wenn die Gewebestruktur bereits ver?ndert ist – und damit zu sp?t.
Der lange Weg vom Labor auf den Markt
Bis zur klinischen Anwendung ist es noch ein weiter Weg. ?Anfangs haben wir die Sonde vor allem an Gewebeproben getestet?, sagt Antoniazzi. Doch Biopsien werden meist erst im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf durchgeführt. Deshalb verlagerte er den Fokus zu Beginn seines Fellowships auf flüssige Proben wie Blutserum. ?Wenn wir die Sonde für Blutserum validieren k?nnten, w?re das ein grosser Schritt hin zur frühen Diagnostik.?
Mit dem geplanten ETH-Spin-off ?FibroTech Solutions? will Antoniazzi die Sonde zur Marktreife bringen. ?Wir sind noch in der frühen Phase, wissen inzwischen aber genau, worauf wir unsere Validierung ausrichten müssen?, sagt er.
Eine der frühen Herausforderungen war, das Produkt verst?ndlich und überzeugend zu kommunizieren. ?Wir müssen den besten Weg finden, um ein neues Diagnoseinstrument einzuführen, das den aktuellen Verfahren und Anforderungen entspricht, und deshalb müssen wir auch den Markt verstehen.? In der Anfangsphase konzentrierte sich Antoniazzi deshalb darauf, das Marktumfeld zu analysieren – und sich gezielt auf die Nutzerinnen und Nutzer auszurichten.
Ein Highlight war dabei die Teilnahme am 3Pi-Wettbewerb der ETH Zürich: Die Chance, sein Start-up in drei Minuten pitchen zu k?nnen. ?Und tats?chlich habe ich den dritten Platz gewonnen, was mich sehr motiviert hat?, erz?hlt Antoniazzi. ?Ich war überw?ltigt, wie gross die Unterstützung für junge Start-ups an der ETH Zürich und in der Schweiz ist. Man bekommt Expertise, Zeit, ein Netzwerk, weil die Leute an einen glauben.?
Unterstützt wird FibroTech Solutions von einem wachsenden Netzwerk aus klinischen Partnern, etwa dem Universit?tsspital Zürich und dem Kinderspital Zürich. Gemeinsam testet das Team verschiedene Anwendungsgebiete – von Lungenfibrose bis zu seltenen Erkrankungen im Kindesalter. ?Unsere Sonde ist grunds?tzlich auf alle Formen von Fibrose anwendbar?, sagt Antoniazzi. ?Aber wir müssen sorgf?ltig priorisieren, um unsere Ressourcen gezielt einzusetzen. Den diagnostischen Werkzeugkasten k?nnen wir sp?ter schrittweise ausweiten.?

Ein Mann mit vielen Talenten
Für Antoniazzi bedeutet die Arbeit am Projekt auch eine pers?nliche Transformation – vom Grundlagenforscher zum angehenden Unternehmer. ?Nach dem Doktorat stehen einem viele M?glichkeiten offen, die es zu prüfen gilt?, sagt er rückblickend. ?Aber sobald man mit Menschen ausserhalb der Wissenschaft spricht, merkt man schnell, dass man lernen muss, anders zu kommunizieren und genau hinzuh?ren, was gebraucht wird.?
Abseits des Labors ist Antoniazzi ein vielseitig interessierter Mensch. Aus der Region Venedig stammend, hat er ursprünglich Pharmazie an der Universit?t von Padua studiert. Er interessiert sich für Kunst und hat sich schon in schwarz-weiss Fotografie versucht. Sein Leben lang spielt er Basketball, jetzt am ASVZ. ?Ich glaube, man arbeitet besser, wenn man sich auch mit anderen Dingen besch?ftigt.? Seine Liebe zur Philosophie aus der Schulzeit habe ihn zudem gepr?gt: ?Sie hilft mir, komplexe Probleme zu durchdenken – eine F?higkeit, die ich als Wissenschaftler und Jungunternehmer jeden Tag brauche.?
Und wie geht es weiter? In fünf Jahren, so hofft Antoniazzi, k?nnte FibroTech Solutions für die erste Indikation auf dem Markt sein. Bis dahin sei es entscheidend, ein starkes Team aufzubauen und die richtigen Anwendungen zu w?hlen. ?Fibrose kann viele Organe betreffen – Lunge, Leber, Haut, Nieren?, sagt er. ?Wir müssen jetzt klug vorgehen, um Wirkung zu erzielen.? Seine Vision ist klar: ?Wenn wir es schaffen, Fibrose früh zu erkennen und rechtzeitig ein Behandeln zu erm?glichen, k?nnen wir das Leben vieler Menschen entscheidend verbessern.?