Knifflige Suche nach einer neuen Kraft
Experimente mit gefangenen Ionen sollen Hinweise auf ein neues Teilchen liefern, das Urheber der mysteri?sen, dunklen Materie sein k?nnte. Forschende der ETH Zürich kombinieren ihre Resultate mit den Ergebnissen von Forschungsgruppen in Deutschland und Australien.
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In Kürze
- In einer internationalen Zusammenarbeit suchen ETH-Forschende nach einer neuen Physik jenseits des Standardmodells und einem Teilchen, das Urheber der dunklen Materie sein k?nnte.
- Die Forschenden führen hochpr?zise Messungen an Kalzium-Isotopen durch, die sie in einer Ionenfalle gefangen halten.
- Die kombinierte Studie liefert zwar keinen Nachweis für neue Physik, setzt aber Randbedingungen für ein hypothetisches Teilchen, das eine Kraft zwischen Neutronen und Elektronen übertragen würde.
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt sehr pr?zis die Bausteine, aus der die uns umgebende Materie und wir selbst bestehen, sowie die fundamentalen Kr?fte, die zwischen diesen Elementarteilchen wirken. ?Es ist zurzeit das beste Modell des Universums, aber wir wissen, dass es Physik jenseits davon gibt, die sich damit nicht erkl?ren l?sst?, sagt Diana Prado Lopes Aude Craik, Physikprofessorin der ETH Zürich, und nennt als Beispiel die dunkle Materie, ?eines der gr?ssten, aktuellen R?tsel der Physik?. Astronomische Beobachtungen zeigen, dass die sichtbare Materie bei Weitem nicht ausreicht, um die Rotation der Galaxien zu erkl?ren. Es muss eine unbekannte Materieform geben, die einen Grossteil der Gesamtmasse des Universums ausmacht.
Physiker und Physikerinnen suchen deshalb nach einer Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik. Einige der vielversprechenden Varianten sagen die Existenz einer neuen, fünften Naturkraft voraus, neben den vier fundamentalen Wechselwirkungen Gravitation, Elektromagnetismus, starke und schwache Kernkraft. So k?nnte zwischen den Neutronen im Atomkern und den Elektronen in der Atomhülle eine bisher unbekannte Wechselwirkung existieren, die durch ein neues Teilchen übertragen würde, ?hnlich wie das Photon die elektromagnetische Kraft vermittelt.
Das Atom pr?zise vermessen
Mit Experimenten an Teilchenbeschleunigern wie am Cern in Genf fahnden Forschende schon lange nach neuen Teilchen jenseits des Standardmodells. Aude Craik und ihre Kollegen und Kolleginnen in der Forschungsgruppe von Professor Jonathan Home am ETH-Institut für Quantenelektronik gehen einen anderen Weg. ?In der Atomphysik k?nnen wir das Atom ?usserst pr?zise vermessen?, erkl?rt sie: ?Die Idee ist deshalb, mit Hilfe von Pr?zisionsatomspektroskopie nach dieser neuen Kraft zwischen dem Neutron und dem Elektron zu suchen.? Das Zürcher Team arbeitet dabei mit Forschungsgruppen in Deutschland und Australien zusammen.
?Wenn diese Kraft im Atom tats?chlich existiert, dann ist ihre St?rke proportional zur Zahl der Neutronen im Atomkern?, erkl?rt Luca Huber, Doktorand im Forschungsteam: ?Deshalb experimentieren wir mit Isotopen, um diese hypothetische Kraft aufzuspüren.? Isotope sind Arten des gleichen Atoms, die sich nur in der Anzahl der Neutronen im Atomkern unterscheiden. Das heisst, Isotope haben die gleiche Anzahl Protonen und Elektronen und sind somit chemisch identisch, weisen jedoch unterschiedliche Massen auf. Deshalb sollte die Gesamtkraft, welche die Elektronen in den verschiedenen Isotopen zu spüren bekommen, aufgrund der unterschiedlichen Neutronenzahl leicht verschieden sein. Dies l?sst sich anhand der sogenannten Energieniveaus messen, auf denen sich die Elektronen im Atom bewegen. Konkret sollte sich die neue Kraft in kleinen Verschiebungen dieser Energieniveaus von Isotop zu Isotop zeigen.
Kalzium-Isotope in der Ionenfalle
?Um diese Energieverschiebungen zu bestimmen, messen wir die Frequenz des Lichts, das ausgesendet wird, wenn unsere Isotope einen ?bergang zwischen zwei Energieniveaus vollziehen?, erkl?rt Aude Craik. Für diese Messung braucht es eine sogenannte Ionenfalle, in der sich ein geladenes Isotop dank elektromagnetischer Felder einzeln festhalten und mit einem Laser in einen angeregten Zustand versetzen l?sst. Konkret verwendeten die Forschenden für ihre Experimente fünf stabile, einfach geladene Kalzium-Isotope. Alle enthalten dieselbe Anzahl Protonen, n?mlich 20, aber die Zahl der Neutronen variiert von 20 bis 28. Im Labor konnten die Forschenden die Verschiebung der Energieniveaus bei diesen Isotopen mit einer Genauigkeit von 100 Millihertz bestimmen, hundertmal pr?ziser als bei den besten Messungen bisher. Der Trick dabei: ?Wir haben jeweils zwei Isotope gleichzeitig in der Falle eingesperrt und zusammen gemessen?, erkl?rt Huber. So liess sich das st?rende Rauschen bei der Frequenzmessung drastisch senken.
Doch trotz dieser Pr?zision brauchte es weitere Experimente, um bei der Suche nach neuer Physik einen Schritt weiterzukommen. W?hrend das Team in Zürich mit einfach geladenen Kalzium-Isotopen experimentierte, verwendete eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Piet Schmidt an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zwar die gleichen Isotope, aber in mehrfach geladenem Zustand. Die deutsche Gruppe bestimmte einen anderen ?bergang in diesen hochgeladenen Kalzium-Ionen mit ?hnlicher Genauigkeit wie das Zürcher Team. Eine dritte Gruppe unter der Leitung von Klaus Blaum am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg mass die Verh?ltnisse der Kernmassen zwischen diesen Isotopen extrem pr?zis.
Forschende entdeckten als erste Abweichungen bei Kalzium
Die Ergebnisse dieser drei Experimente kombinierten die Forschenden in einem speziellen Verfahren namens King-Plot-Analyse. Dabei werden die Frequenzverschiebungen bei den beiden ?berg?ngen als Punkte in einem Diagramm dargestellt.
?Das Wichtigste an diesen King-Plots: Liegen alle Punkte auf einer geraden Linie, sind die gemessenen Werte auf erwartete kernphysikalische Effekte zurückzuführen?, erkl?rt Aude Craik. Eine Abweichung von dieser Linearit?t k?nnte durch kompliziertere, nukleare Effekte oder durch eine neue Kraft verursacht werden. Bis anhin waren alle King-Plots bei Kalzium linear. Die drei neuen Messungen in der Schweiz und Deutschland zusammen ergaben nun den ersten, nichtlinearen King-Plot für Kalzium, wie das Journal ?Physical Review Letters? berichtet.

Genauere Randbedingungen festgelegt
Um dieses Resultat richtig zu interpretieren, führten weitere Forschungsgruppen in Deutschland und Australien Pr?zisionsberechnungen durch. Resultat: Die bisher gut verstandenen nuklearen Effekte erkl?ren nur einen Teil der Abweichung. Eine weitere Ursache k?nnte die sogenannte Kernpolarisierung sein, eine Art Verformung des Atomkerns durch die Elektronen, die bisher noch wenig untersucht wurde. Deren komplizierte Berechnung ergibt, dass sie genügend gross sein k?nnte, um die gemessene Nichtlinearit?t noch innerhalb der Grenzen des Standardmodells zu erkl?ren. ?Wir k?nnen also nicht behaupten, dass wir hier neue Physik sehen?, betont Aude Craik: ?Doch wir wissen nun beispielsweise, wie stark die neue Kraft h?chstens sein kann, denn sonst h?tten wir sie trotz aller Unsicherheiten gemessen.? In Bezug auf das hypothetische Teilchen, das die Kraft übertragen würde, k?nnen die Forschenden potenzielle Bereiche für dessen Masse und Ladung bezeichnen.
Zurzeit arbeiten die Forschenden bereits an einer weiteren Verbesserung der Genauigkeit ihrer Resultate. ?Wir sind daran, einen dritten Energieübergang in den Kalzium-Isotopen zu messen?, erz?hlt Huber, ?und dies noch genauer als zuvor m?glich.? Damit wollen sie das bisher zweidimensionale King-Plot zu einem dreidimensionalen Diagramm ausbauen. ?Wir hoffen, dass wir damit die theoretischen Probleme überwinden und weiter vordringen werden auf der Suche nach dieser neuen Kraft?, sagt Aude Craik.
Literaturhinweis
Wilzewski A, Huber L, Door M, Richter J, Mariotti A et al.: Nonlinear Calcium King Plot Constrains New Bosons and Nuclear Properties. Physical Review Letters, 134, 233002, doi: externe Seite 10.1103/PhysRevLett.134.233002