In kleinen Schritten zum Frieden

Vertrauen ist schneller zerst?rt als aufgebaut. Das gilt auch für das Verh?ltnis zwischen Staaten. ETH-Forschende untersuchen, wie vertrau?ensf?rdernde Massnahmen gelingen k?nnen.

Ein gezeichnetes Bild zwei Männer im Anzug stehen sich gegenüber
Vertrauen ist schneller zerst?rt als aufgebaut. (Bild: JPbodyparts / Adobe Stock)

Wenn in einem Spionagefilm das rote Telefon klingelt, herrscht immer Hochspannung. Gemeint ist in der Regel ein Anruf zwischen dem US-Pr?sidenten und dem Pr?sidenten der damaligen Sowjetunion beziehungsweise Russland. Das rote Telefon gibt es in der Realit?t so nicht. Tats?chlich aber haben die beiden Grossm?chte mitten im Kalten Krieg eine direkte, sichere Verbindung zwischen ihren Pr?sidenten eingerichtet. Damit diese miteinander sprechen k?nnen, bevor jemand auf den roten Knopf drückt – ein weiteres Sinnbild, diesmal für einen Nukleareinsatz. ?Das Ziel einer solchen direkten Verbindung zwischen Staaten ist vor allem, Missverst?ndnisse zu verhindern oder auszur?umen. Das ist ein zentraler Punkt, um Vertrauen zu erhalten oder zu verbessern?, sagt Simon Mason, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Mediation-Support- Teams am Center for Security Studies der ETH Zürich.

Vertrauen ist ein wertvolles Gut, das gilt sowohl in zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch zwischen L?ndern. Und es ist keine Selbstverst?ndlichkeit. ?In den internationalen Beziehungen geht man eher davon aus, dass Vertrauen zwischen Staaten nicht grunds?tzlich vorhanden ist, sondern erst geschaffen werden muss?, sagt Andreas Juon, Postdoktorand in der Gruppe für internationale Konfliktforschung der ETH Zürich. Der Grund: ?Es gibt keine übergeordnete Instanz, die ein Fehlverhalten von Staaten bestrafen kann, wenn Vertrauen missbraucht wird.? Die Wahrung des Weltfriedens geh?re zwar zu den wichtigsten Aufgaben der UNO, diese sei aber nie zu einer ?Weltpolizei? ausgebaut worden. Auch im UNO-Sicherheitsrat herrsche meist zu wenig Einigkeit, um griffige Sanktionen zu beschliessen – geschweige denn Eins?tze milit?rischer Art, um Fehlverhalten zu verhindern oder zu bestrafen. Insofern bestehe für ein Land immer die potenzielle Gefahr, von einem anderen Land bedroht zu werden – etwa indem dieses pl?tzlich Gebietsansprüche erhebe.

Entsprechend gibt es in internationalen Beziehungen zwei Arten der Arbeit am Vertrauen: In Friedenszeiten gilt es, das Vertrauen zwischen Staaten m?glichst zu erhalten und in Konflikten wieder aufzubauen. Das Team von Simon Mason untersucht vor allem, wie Verhandlungen und Methoden der Mediation für die Friedensf?rderung genutzt werden k?nnen. Um den Weg zurück zur Kooperation und zum Frieden zu finden, ist gem?ss Mason Vertrauen einer von drei grundlegenden Pfeilern. Die anderen beiden sind gegenseitiges Verst?ndnis und der Wille zur Zusammenarbeit.

Die drei Aspekte beeinflussen sich gegenseitig. Fehlt es an Verst?ndnis, kann auch kein Vertrauen wachsen. Ohne Vertrauen fehlt aber oft auch die Motivation, sich in die andere Partei hineinzuversetzen. ?Am Verst?ndnis und am Vertrauen l?sst sich eher arbeiten, als wenn es am grunds?tzlichen Willen fehlt, eine L?sung des Konflikts durch Verhandlungen zu suchen?, so die Erfahrung von Mason.

?Globe? Vertraust du mir?

Globe 25/01 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/01 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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Fehlende Sanktionen

Oft gelingt ein Kontakt in Konflikten nur noch, indem eine unabh?ngige Drittpartei vermittelt. Und auch wenn internationale Organisationen den Frieden nicht durchsetzen k?nnen, so sind sie doch eine bedeutende Plattform, um Vertrauen aufzubauen. ?Ein wichtiges Ziel der Diplomatie ist es, Vertrauen zu schaffen und zu stabilisieren?, sagt Mason. Die ritualisierten Gepflogenheiten der Diplomatie m?gen dabei manchmal merkwürdig anmuten – wenn es etwa darum geht, wer in welcher Reihenfolge den Raum betritt oder eine Rede h?lt. ?Aber genau solche Regeln erlauben es, Zuverl?ssigkeit zu zeigen und damit Vertrauen aufzubauen?, sagt Mason. F?rderlich auf dem Weg zu mehr Vertrauen sei zudem die St?rkung von Institutionen wie der UNO, sodass sie vermehrt von allen Staaten akzeptiert werden und effektiver funktionieren. Umgekehrt geh?rten zu den gr?ssten Vertrauenskillern neben Missverst?ndnissen auch Unberechenbarkeit und Drohgeb?rden.

Miteinander sprechen und diplomatischen Kontakt pflegen ist aber nur eine Seite. ?Schlussendlich entsteht Vertrauen vor allem dann, wenn sich Staaten auch an die Dinge halten, die sie abgemacht haben?, sagt Mason. Direkt ersichtlich werde dies etwa an konkreten Schritten der Abrüstung.

Vertrauen ist aber nicht nur eine Frage der politischen und milit?rischen Sph?re. Aufbau von Vertrauen ist auch m?glich durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit. Mit diesem Gedanken wurde in den 1950er-Jahren die damalige Europ?ische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, was in den folgenden Jahrzehnten massgeblich zum Frieden in Europa beigetragen hat.

Zunehmende Konflikte

?Aktuell befinden wir uns allerdings in einer Phase der angespannten internationalen Beziehungen?, sagt Mediationsspezialist Mason. Das Ende des Kalten Kriegs sei eine Zeit des Optimismus gewesen, in der Frieden wahrscheinlicher schien. Derzeit würden aber geopolitische Polarisierung, Wirtschafts- und Umweltkrisen sowie geschw?chte internationale Institutionen unseren globalen Kontext pr?gen.

Zu diesem Schluss kommt auch Konfliktforscher Andreas Juon. Globale Daten zu Konflikten zeigten n?mlich: Nach dem Ende des Kalten Krieges nach 1989 sank die Zahl der Bürgerkriege und zwischenstaatlichen Konflikte. Seit 2010 aber steigt beides stark an. Kein Wunder, denn seit demselben Zeitpunkt fanden gem?ss Juon in vielen L?ndern Entwicklungen statt, die das Risiko für Konflikte erh?hen: ein zunehmender Ausschluss von Minderheiten von der politischen Macht, der Wandel zahlreicher L?nder von Demokratien zu Autokratien und vermehrt nationalistische Regierungen. Umgekehrt zeigt sich in der Forschung seines Teams, dass die politische Einbindung oder Gew?hrung von Autonomie für Minderheiten zu weniger Konflikten führt. Juon befürchtet, dass die international konfliktive Entwicklung in der Zukunft noch weiter zunehmen oder vorl?ufig zumindest auf hohem Niveau verbleiben k?nnte. Düstere Aussichten also? Befragungen der Bev?lkerung weltweit zeigen immerhin, dass der Wunsch nach einer liberalen Demokratie als Staatsform und nach Rechten für Minderheiten zunimmt.

Klar ist: Am weltweiten gegenseitigen Vertrauen gilt es st?ndig zu arbeiten, denn Vertrauen ist schneller zerst?rt als aufgebaut. Umso wichtiger sind sogenannte vertrauensbildende Massnahmen in der Friedensf?rderung. Simon Mason und sein Team untersuchen, wie diese ausgestaltet sein müssen, damit sie erfolgreich sind. ?Wichtig ist insbesondere, keine zu grossen Schritte auf einmal nehmen zu wollen?, betont Mason. So scheiterte beispielsweise bis jetzt die Idee, zwischen Russland und der Ukraine ein Abkommen auszuhandeln, das einen Verzicht auf gegenseitige Angriffe auf die Energieversorgung vorsieht. Dass ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen zwischen den beiden Kriegsparteien für kleinere Schritte trotzdem vorhanden ist, zeigen umgekehrt die schon mehrfach get?tigten Gefangenenaustausche. ?Vertrauen f?rdern gelingt am besten, wenn man auf dem aufbaut, was schon vorhanden ist. Idealerweise tragen beide Konfliktparteien im selben Ausmass dazu bei?, sagt Mason.

Zu den Personen

Portrait von Andreas Juon

Andreas Juon ist Postdoktorand in der Gruppe für Internationale Konfliktforschung am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der ETH Zürich.

Portrait von Simon Mason

Simon Mason ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Mediation-Support-Teams am Center for Security Studies der ETH Zürich.

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